Verbandsgeschichte

Verbandsgeschichte

Zur sozialen Strafrechtspflege Badens in Geschichte und Gegenwart (Dr. Karl-Michael Walz)

Auf der Suche nach den Ursprüngen badischer Straffälligenhilfe lassen sich in der Zeit vor 1830 für die freien Träger keine, für den Staat nur wenige landestypische oder von badischen Besonderheiten geprägte Wurzeln finden. Es war zwar der im Lande lehrende Heidelberger Rechtsprofessor Carl Joseph Anton Mittermaier, der den entscheidenden Anstoß zur Gründung des "Vereins zur Besserung der Strafgefangenen und für Verbesserung des Schicksals entlassener Strafgefangener im Großherzogtum Baden" gab. Er war gleichsam der "Gründervater" des Badischen Landesverbandes und zeitlebens ein Förderer aller jener Bestrebungen, die der sozialen Wiedereingliederung Straffälliger galten. Mittermaier konnte aber nur auf den Grundlagen aufbauen, die er rechtsvergleichend durch Erforschung der Verhältnisse und Ideen in anderen deutschen Staaten, in Europa und in Übersee erarbeitet hatte. Vernachlässigt man die rein seelsorgerische und karitative Fürsorge der Kirchen, konnte er auf badische oder sonstige südwestdeutsche Erfahrungen in nennenswerter Weise nicht zurückgreifen. Einrichtungen einer freien Straffälligenhilfe gab es in Baden nicht. Das zunächst an eigenen Ideen arme Bild sollte sich jedoch mit Mittermaier grundlegend ändern, so daß auf Baden alsbald der "Nimbus eines Reformstaats in krimineller Hinsicht" ruhte. Nach Mittermaier waren es zunächst Ludwig und Eugen von Jagemann, Adolf Fuchs und andere Persönlichkeiten, die die Entwicklung der freien badischen Straffälligenhilfe prägend begleiteten und über die badischen Landesgrenzen hinaus auch der deutschen Straffälligenhilfe nachhaltig den Weg wiesen. Trotz all dieser fremden Einflüsse etablierte sich die von Mittermaier ins Leben gerufene Gefangenen- und Entlassenenfürsorge freilich in dem Rahmen, den die badische Gesellschaft und das auf der Karolina basierende und von französischen Einflüssen geprägte Straf-, Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht zuließen.

Dagegen lassen sich im Bereich der staatlichen Strafrechtspflege des 18. Jahrhunderts schon eher Bemühungen feststellen, die Straffälligen human zu behandeln und sie in das Gemeinwesen wiedereinzugliedern. Eine wesentliche Voraussetzung hierzu war in Baden wie andernorts der wohlfahrtsstaatliche Charakter des absolutistischen Obrigkeitsstaates, dessen "gute Polizey" sich im 18. Jahrhundert mit "den Einrichtungen alles dessen befaßte, was zur Notwendigkeit und Bequemlichkeit des Lebens, zum Wohlstande, zur Zierde, Reinlichkeit, guten Ordnung und Erhaltung des Staates, Ortes etc. abzweckt". Hierzu gehörte die Aufgabe, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dem Rückfall Straffälliger entgegenzuwirken. Zu ihrer Erfüllung hielt sich der Staat für berechtigt, nahezu unbeschränkt in die Lebensverhältnisse und in die Persönlichkeitssphäre seiner Untertanen einzugreifen. Für Straffällige bedeutete dies, daß sie durch moralische Besserung vor einem Rückfall in die Kriminalität bewahrt werden mußten. Daran vermochten auch erste Forderungen nach einer Beschränkung des Staates auf die bloße Erhaltung seiner Rahmenbedingungen nichts zu ändern. Solch frühliberale Kritik hatte nur die Bereiche der gesellschaftlichen und persönlichen Wohlfahrt, nicht dagegen die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit im Auge, die im Gefolge revolutionärer Erschütterungen noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade auch in Süddeutschland durch vagabundierende Straftäter bedroht war. Entgegen der Absicht, neue Kriminalität zu verhindern, dominierten in der Verbrechensbekämpfung aber noch immer Strafen und Maßnahmen, welche die Straffälligen der Gesellschaft eher entfremdeten und dem Rückfall Vorschub leisteten. Dabei hatten die Strafen selbst -als Folge der Aufklärung- ihre Roheit verloren und hatten sich im Verfahrensrecht humanisierende Tendenzen durchgesetzt. Wohlfahrtsstaatliche Ansätze zur Kriminalprophylaxe weist dagegen der Strafvollzug auf. Durch Erziehung und Gewöhnung an Arbeit sollten die Gefangenen moralisch gebessert und geläutert werden. Zwar richtete sich die in den Zucht- und Arbeitshäusern schrittweise eingeführte Beschäftigung der Gefangenen noch überwiegend nach wirtschaftlichen, den staatlichen Profit fördernden Gesichtspunkten.doch wurden bereits Überlegungen angestellt und auch umgesetzt, die Gefangenen im Sinne der erstrebten Besserung und Wiedereingliederung zu beschäftigen. Vereinzelt erhielten junge Gefangene Gelegenheit, ein Handwerk ihrer Wahl zu erlernen. Entlassene wurden ordentlich bekleidet und mit einem Handgeld versehen.

Eine Fortentwicklung hin zu dem Zustand, den Mittermaier um 1830 vorfand, brachte für Baden die 1803 in die Wege geleitete Rechtsvereinheitlichung. Das achte Landesorganisationsedikt paßte das Strafrecht an die durch die "merklich vorangeschrittene Aufklärung" geübte gerichtliche Praxis an und versuchte, Elemente der Verbrechensvorbeugung, der Spezial- und Generalprävention als Ziele zu formulieren und eine "mildere AnwendungsArt der älteren Gesetze zu sichern". Im Prozeßverfahren wurde die Stellung der Beschuldigten durch eine nahezu völlige Beseitigung der Tortur, durch den Amtsermittlungsgrundsatz auch für entlastende Umstände und durch eine gesetzliche Ausgestaltung des Recurses verbessert. Das materielle Strafrecht war, von Ausnahmen abgesehen, von einer weiteren Milderung der Strafdrohungen gekennzeichnet. Im Strafvollzug nahmen die Regelungen zur Beschäftigung, Entlohnung und zur Entlassenenfürsorge konkretere Formen an. Ein weltweit erwachtes Interesse am Gefängniswesen führte zur Beschäftigung mit Fragen der Klassifizierung der Gefangenen, der Besserung und Besserstellung im Vollzug. Die Wirkungen der Infamie wurden gemildert, die Lage der Entlassenen durch die Bereitstellung von Reisegeld, Arbeitsbelohnungen und Kleidung verbessert. Und dennoch befand sich das Gefängniswesen, wie Mittermaier feststellte, in einem erbärmlichen Zustand. Ein ungenügender Strafvollzug, eine schlechte, auf überharte und entehrende Strafen setzende Gesetzgebung, soziale Not und veränderte Lebensgewohnheiten waren für ihn die wesentlichen Ursachen für Kriminalität, Desozialisation und Rückfall. In der Absicht, aus christlich-karitativer Motivation und der Kriminalprävention willen zumindest das Gefängniswesen und die Situation der Strafentlassenen zu optimieren, regte Mittermaier 1830 die Gründung des "Vereins für Besserung der Strafgefangenen und für Verbesserung des Schicksals entlassener Sträflinge" an. Für ihn konnte es, wie sich aus der Präambel der Statuten ergibt, nicht zweifelhaft sein, daß die Fürsorge am späteren Fortkommen der Strafgefangenen gleichermaßen eine gesellschaftliche wie eine staatliche Aufgabe ist.deshalb verknüpfte er das gesellschaftliche Wirken mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben auch funktional miteinander und strebte neben der Entlassenenhilfe auch die Fürsorge für die Familien der Inhaftierten, ja selbst die Unterstützung der Behörden beim Strafvollzug in Fragen des Unterrichts und der Gesundheitsfürsorge an. Die Umsetzung dieser zu weitgehenden Konzeption überforderte jedoch alle Beteiligten personell und finanziell und führte zu einem vorübergehenden Niedergang der Gefangenen- und Entlassenenfürsorge.

Mit den Bemühungen um eine Reorganisation des Verbandswesens und einer Reform der Konzeption ging unter dem Einfluß frühliberaler Tendenzen eine strikte Trennung und Unterscheidung von staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben bei der Eingliederung Strafentlassener einher.der Staat sollte sich ausschließlich um den Strafvollzug "in zweckmäßiger und namentlich auf moralische Aufrichtung berechneter Weise" kümmern. Die Notwendigkeit einer sich anschließenden Entlassenenfürsorge müsse der Privattätigkeit überlassen werden. Dieser Ansicht schloß sich der Badische Landesverband in den Statuten von 1853 an. Vereinszweck war nunmehr allein die Entlassenenfürsorge, nicht mehr die Beförderung der Anstaltsverhältnisse oder die Betreuung der Gefangenen und ihrer Familien. Gleichzeitig entledigte sich der Staat der Entlassenenfürsorge. Die neue Aufgabenverteilung konnte indessen den weiteren Niedergang der freien Entlassenenfürsorge nicht verhindern. Sie litt an einer fehlenden Zentralleitung, an engagierten und sachkundigen Personen vor Ort und einer nur mangelhaften Unterstützung durch die Bezirksämter.

Ein erneutes Umdenken trat erst ein, als gegen Ende des Jahrhunderts bei steigender Kriminalität Zweifel an der Richtigkeit der reinen Vergeltungsstrafe und des ihr entsprechenden Strafvollzuges aufkamen. Einstweilen beförderten aber noch die geltenden strafrechtlichen Kodifikationen, die sich der Generalprävention, der Vergeltungstheorie und dem rechtsstaatlich-liberalen Denken verschrieben hatten, einen Strafrigorismus und die Bezugslosigkeit zum Täter. Das materielle Strafrecht kannte weder Maßregeln der Besserung und Sicherung noch eine Strafaussetzung zur Bewährung. Empirische Forschungen blieben unberücksichtigt. Institute wie die Polizeiaufsicht wirkten einer schonenden Wiedereingliederung gar entgegen. Da hinter dem herrschenden Vergeltungsdenken zudem noch die auf Rechtsstaatlichkeit bedachte Achtung vor der unberührbaren, dem Staat entzogenen sittlichen Persönlichkeit des Täters stand, überließ man staatlicherseits die Gefangenen überwiegend sich selbst und verzichtete auf Entlassenenhilfe und persönlichkeitsbezogene Resozialisierung. Wohl als Surrogat für fehlende sachlich-kriminalpolitische Erwägungen bot das badische Strafgesetzbuch von 1845 in einem zum Teil eigenartig geregelten Strafenspiegel mit moralisierenden Betrachtungsweisen versteckt Gelegenheit, bei der konkreten Strafzumessung relative Strafzwecke persönlichkeitsbezogen zu berücksichtigen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Diskrepanz zwischen dem liberalen Urbild des sittlichen Idealismus und der sozialen Wirklichkeit immer größer. Um die negative Entwicklung aufzufangen, mußte sich der liberale Rechtsstaat zum sozialen Wohlfahrtsstaat wandeln. Im kriminalpolititischen Bereich führte dies zwar zu einer Änderung im Rechtsdenken. Durchgreifende Änderungen im materiellen Strafrecht blieben jedoch aus. Noch konnten sich im Schulenstreit rechtsstaatlich-soziale Anschauungen nicht gegen rechtsstaatlich-liberales Gedankengut durchsetzen. Soweit im Bemühen um kriminalpolitische Veränderungen Kompromisse auf einem kleinen gemeinsamen Nenner gefunden wurden, erfolgte ihre Umsetzung im Gnadenrecht. So konnte sich neben der gesetzlich geregelten vorläufigen Entlassung nach § 23 RStGB die Beurlaubung auf Wohlverhalten und der Strafaufschub auf Wohlverhalten in durchaus beachtlichem Umfang durchsetzen. Auf diese Weise wurde die kriminalpolitisch schädliche kurze Freiheitsstrafe zurückgedrängt und konnten Maßnahmen zu einem schonenden Übergang der Gefangenen vom Strafvollzug in die Freiheit erprobt werden. In Baden stand man den neuen Methoden aufgeschlossen gegenüber und wandte sie behutsam an. Im Bereich der umstrittenen Polizeiaufsicht bemühte sich Baden um schonende Korrektive zur gesetzlichen Regelung der §§ 38,39 RStGB. Insgesamt sollte es jedoch vor dem Ersten Weltkrieg nicht gelingen, das materielle Strafrecht im Sinne der rechtsstaatlich-sozialen Lehre zu reformieren. Dies hätte zu Lasten der Vergeltungstheorie einer weitaus stärkeren Berücksichtigung der relativen Strafzwecke, der Einführung sichernder Maßnahmen, der entschiedeneren Beschränkung der kurzfristigen Freiheitsstrafe und der gesetzlichen Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung bedurft. Angesichts der Gesetzgebungskompetenz des Reiches auf strafrechtlichem Gebiet vermochte auch das Reformen zugeneigte Baden auf dem Felde der sozialen Strafrechtspflege im Verordnungs- und Gnadenweg nur wenig auszurichten, zumal es alle Neuerungen ohne übertriebenen Eifer und mit Sorgfalt anging.

Weniger Widerstände, auch relative Strafzwecke zu berücksichtigen, gab es im Bereich des Strafvollzuges. So sahen die reichseinheitlichen Grundsätze zwar Einzel- und Gemeinschaftshaft als gleichberechtigt an, gaben aber der Einzelhaft aus Gründen, die dem Besserungszweck entsprangen, den Vorzug. Wenngleich das badische Vollzugsrecht ein deutliches Bemühen erkennen läßt, dem Vergeltungsgedanken des Reichsstrafgesetzbuches Genüge zu tun, versuchte es gleichwohl, auch die Gedanken der Spezialprävention zu verwirklichen. Vor allem die Regelungen über Seelsorge, Unterricht, Gesundheitspflege und Krankenfürsorge ließen den Vergeltungsgedanken zugunsten des Besserungs- und Erziehungszweckes in den Hintergrund treten.

In weit geringerem Maße hatte die dogmatische Verhärtung der Vergeltungstheorie das sich vom allgemeinen Strafrecht lösende Jugendstrafrecht erfaßt. Neue Erkenntnisse in der Kinderheilkunde, Jugendpsychologie und Jugendpsychiatrie sowie ihre Diskussion auf den Jugendgerichtstagen förderten das Verständnis für den Erziehungsgedanken. Indem man in Baden zwar an der Strafe als rechtlicher Sanktion gegenüber Jugendlichen festhielt, erzieherische Gesichtspunkte aber gleichwohl in das Jugendstrafrecht einfließen ließ, stand man vermittelnd zwischen den Vertretern der reinen Tatvergeltung und denjenigen, die jeglicher jugendlichen Dissozialität mit einem einheitlichen System reiner Erziehungsmaßnahmen begegnen wollten. Einer sachgerechten Gestaltung und Ausübung der Zwangserziehung wandte man in Baden ein besonderes Augenmerk zu.

Besser als der staatlichen Rechtspflege gelang gegen Ende des 19. Jahrhunderts der freien Straffälligenhilfe der Durchbruch zu einer umfassenden Entlassenenfürsorge, nachdem man 1882/83 den Badischen Landesverband auf eine organisatorisch und finanziell tragfähige Grundlage gestellt hatte. Überdies begünstigte die Selbstbeschränkung des Staates auf den Strafvollzug die Tätigkeit der freien Träger in der Entlassenenhilfe. Zweck der Schutzvereine war "die geistige und leibliche Fürsorge, namentlich Vermittlung redlichen Fortkommens, für entlassene Gefangene zur Sicherstellung guten Verhaltens und zur Erleichterung ihres Rücktritts in die bürgerliche Gesellschaft". Hinzu kam das neue Aufgabenfeld des Jugendschutzes und der Zwangserziehung. Ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kümmeten sich 60 Schutzvereine mit nahezu 14.000 Mitgliedern um jährlich knapp 5000 Fürsorgefälle. Trotz der an sich scharfen Aufgabentrennung zwischen Staat und Verband verfolgten die Strafanstalten die Neuorganisation mit besonderem Interesse. So konnte sich die schon in der Satzung von 1882/83 festgelegte Justiz- und Vollzugsnähe des Badischen Landesverband kontinuierlich entwickeln, zumal die Einsicht in die Notwendigkeit der sozialen Eingliederung Straffälliger auch auf seiten des Staates immer mehr an Boden gewann. In nahezu allen für die Straffälligenhilfe bedeutsamen Fragen herrschte zwischen der Zentralleitung des Badischen Landesverbandes, der Justiz, der Justizverwaltung und des Strafvollzuges ein intensiver Meinungsaustausch, der personell durch die beruflichen Tätigkeiten der Vereinsvorsitzenden und der Mitglieder der Zentralleitung begünstigt wurde. Die Ansichten des auch auf Reichsebene regen Vorsitzenden Adolf Fuchs hatten Gewicht, so daß sein initiatives Vorgehen zahlreiche Neuerungen bewirkte. In Ergänzung der traditionellen Einzelfallhilfen für Entlassene, ihre Familien und im Bereich des Jugendschutzes begann der Landesverband in den achtziger Jahren mit der Förderung und Übernahme selbständiger Einrichtungen. Schließlich prägten seine führenden Persönlichkeiten die Meinungsbildung auf nationaler Ebene im Verband der deutschen Schutzvereine für entlassene Strafgefangene, in der Versammlung der deutschen Strafanstaltsbeamten, der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (Landesgruppe Deutschland) und über die Reichsgrenzen hinaus auf den internationalen Gefängniskongressen.

Nach der gewaltigen Zäsur des Ersten Weltkrieges bot die kurze Zeit demokratischer Verhältnisse weder dem Staat noch den freien Trägern ausreichend Gelegenheit, die schon vor 1914 angedachten grundlegenden Neuerungen im Bereich der sozialen Strafrechtspflege in konkrete und langfristige Ergebnisse umzusetzen. Von Bedeutung ist aber das neue Verhältnis von staatlicher und privater Fürsorge. Zwar standen in Baden dank vielerlei persönlicher Kontakte Justiz und Justizverwaltung mit dem Badischen Landesverband seit Jahren in so enger Verbindung, daß die nach liberaler Auffassung gezogene Trennungslinie zwischen Strafvollzug und Entlassenenhilfe weniger scharfe Konturen hatte als andernorts. Jetzt aber setzte sich die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Aktivitäten zur sozialen Wiedereingliederung Straffälliger zumindest theoretisch immer mehr durch, wie die Grundsätze des Reichsrates für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923 über die "Fürsorge für die Gefangenen nach der Entlassung" zeigen. Die praktischen Erfolge blieben jedoch bescheiden. Dies gilt in gleichem Maße für die anderen Bereiche der sozialen Strafrechtspflege. Von dem erstrebten, indes nur ansatzweise auch verwirklichten kriminalpolitischen Reformwerk der Weimarer Zeit hatten neben dem Straftilgungsgesetz vor allem die Geldstrafengesetze resozialisierenden Charakter, indem sie die kriminalpolitisch schädliche kurze Freiheitsstrafe weiter eindämmten. Das 1933 in Kraft getretene Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher schloß mit der Einführung der Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln die Weimarer Reformbemühungen im materiellen Strafrecht ab. Das Jugendgerichtsgesetz von 1923 normierte den Erziehungsgedanken und erkannte die seit etwa zwei Jahrzehnten aufgrund privater oder kommunaler Initiativen bestehenden Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe an. Das Jugendstrafrecht löste sich endgültig vom allgemeinen Strafrecht und läßt deutlicher als andere Rechtsgebiete die Wandlung vom bürgerlichen Rechtsstaat zum Sozialstaat erkennen. Die Neuerungen im Jugendstrafrecht wurden in Baden nachhaltig gefördert. Wiederholt stand das badische Justizministerium der Praxis mit Richtlinien helfend zur Seite. Weniger glücklich verlief in Baden die Einführung der Erwachsenengerichtshilfe. Einen vorläufigen Schlußpunkt markierte insoweit ein Erlaß vom 23.dezember 1929, der die Gerichtshilfe zwar einführte, einer Institution, die Ermittlungshilfe im Strafverfahren leistet, aber eine Absage erteilte. So wurde die Gerichtshilfe überwiegend nur im Gnadenverfahren, bei der Aufsicht über Verurteilte, in der Fürsorge für Entlassene, in der Schutzaufsicht oder in der Familienerziehung von untergebrachten Fürsorgezöglingen herangezogen. Neben dem Jugendstrafrecht erfuhr der allgemeine Jugendschutz eine grundlegende Reform. Das später mehrfach geänderte Gesetz über die Fürsorgeerziehung vom 11. Juli 1918 machte das Zwangserziehungsgesetz von 1886 zu einem Fürsorgegesetz und ermächtigte die Justizverwaltung, alle Zuständigkeiten auf die Vormundschaftsgerichte zu übertragen. Erziehungsanstalten wurden vom Land und dem Badischen Landesverband eingerichtet und betrieben. Durch Gesetz über die Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 wurde die Fürsorgeerziehung schließlich reichseinheitlich geregelt.

Auch in der freien Straffälligenhilfe hatte der Erste Weltkrieg große Lücken geschlagen. Zwar blieben die Vereine des Badischen Landesverbandes intakt. Trotzdem kam das Schutzwesen zum Erliegen und schrumpften die finanziellen Rücklagen durch die Inflation auf einen wertlosen Rest zusammen. Eine leichte Belebung erfuhren die Vereine mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Jahre 1924/25 und infolge der gesetzgeberischen Aktivitäten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und des Jugendschutzes. 60 Vereine mit knapp 10.000 Mitgliedern leisteten in 2458 Fällen Hilfe, die 1375 Jugendliche und 1083 Erwachsene erreichte. Die in der Erwachsenenfürsorge reduzierte Fürsorge glich der Verband durch seine Tätigkeit auf dem Gebiet des Jugendschutzes aus und ermöglichte so dem Schutzwesen das Überleben in schwieriger Zeit, setzte doch die badische Fürsorgeerziehungsordnung vom 26. Juni 1919 auf die Unterstützung der freien Verbände und der Wohlfahrtsverbände. Einen Schwerpunkt der Verbandsarbeit stellte die Betreuung von männlichen Jugendlichen im 1919 gegründeten Erziehungsheim Stutensee dar. Trotz Konsolidierung wurde eine Erneuerung des Schutzvereinswesens immer dringlicher. Staunend nimmt man heute die damalige Begründung zur Kenntnis, daß der Staat im Bereich der "Überleitung der Gefangenen in die Freiheit" Aufgaben übernommen habe, die noch vor wenigen Jahren von der freien Schutzfürsorge wahrgenommen wurden. Angesichts einer "Vertiefung und Entwicklung" des Fürsorgewesens könne dies erfolgreich nur unter Heranziehung karitativer Kräfte geschehen. Nach § 2 der Satzungen von 1929 war denn der Zweck der Vereine "die Leistung sogenannter Gerichtshilfe für Jugendliche und Erwachsene und die geistige und leibliche Fürsorge für Gefangene und deren Angehörige, soweit sie der Fürsorge bedürftig und würdig sind". In der Folgezeit nahmen die Hilfs- und Dienstleistungen erheblich zu.

Der Schatten, den das nationalsozialistische Regime über Staat und Gesellschaft legte, breitete sich auch über die (soziale) Strafrechtspflege aus. Das Jahr 1933 markiert insoweit das vorläufige Ende eines hoffnungsvoll begonnenen Bemühens um eine Reform des Strafrechts. Fürsorge und Resozialisierung traten hinter die strafende Vergeltung eines autoritären und die Länder gleichschaltenden Zentralstaates, hinter die Abschreckung und die Unschädlichmachung des Straftäters zurück. Bei planmäßigem Abbau des Rechtsstaates führte der Primat generalpräventiver Strafzwecke zu einer bis dahin nicht gekannten Kriminalisierung und Pönalisierung allen menschlichen Handelns. Die alleinige Bewertung der Tat verstellte den Blick auf den Täter.den politisch und rassisch Verfolgten entzog das Regime obendrein jeglichen Rechtsschutz und vernichtete sie psychisch und physisch. Fortschrittliche, eben erst normierte Rechtsinstitute und Einrichtungen wie die Maßregeln der Besserung und Sicherung oder die Gerichtshilfe wurden pervertiert angewandt und in den Dienst der totalitären Ideologie gestellt. Im Strafvollzug verdrängten zunächst Sühne und Abschreckung den noch jungen Erziehungsgedanken, bevor 1940 -jedoch nur aus Gründen der Machterhaltung- auch die Schutzfunktion des Strafrechts wieder Geltung erlangte.

Im präventiven Jugendschutz wurden die Erziehungsziele dem braunen Zeitgeist angepaßt, die Verantwortlichkeiten auf die NS-Volkswohlfahrt, die Hitlerjugend und linientreue Familien übertragen. Nur im Jugendstrafrecht wurde die kontinuierliche Weiterentwicklung nicht unterbrochen; so konnten alte Ziele der Jugendgerichtsbewegung verwirklicht werden. Das JGG 1943 brachte die Umgestaltung des gesamten Jugendstrafrechts mit einer Dreigliederung der Rechtsfolgen in Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendgefängnis sowie die Möglichkeit der Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch. Die ideologische Beeinflussung des Verfahrens sicherte sich das Regime durch die Heranziehung der Hitlerjugend und der Jugendgerichtshilfe, die von den Jugendämtern und der Jugendhilfe der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) ausgeübt wurde.

In der freien Straffälligenhilfe verloren 1934 der Badische Landesverband und seine Bezirksvereine durch ihre Angliederung an die Volkswohlfahrt zumindest formal ihre Unabhängigkeit. Unter der Bezeichnung "Badische Gefängnisgesellschaft (Landesverband und Bezirksvereine)" wurde ihnen 1935 eine neue Satzung oktroyiert, die mit der Ideologie und Phraseologie der braunen Machthaber befrachtet war. Sie stellte sicher, daß auch die freie Straffälligenhilfe in völkischem Geist ausgeübt wurde. Da die Fürsorge in den Strafanstalten vorrangig die Vollzugsverwaltung, nach der Entlassung die NSV und im übrigen die Wohlfahrts- und Arbeitsämter zu leisten hatten, blieb der freien Straffälligenhilfe nur eine subsidiäre Zuständigkeit, was sich in deutlich reduzierten Hilfeleistungen niederschlug. Dabei sah sich der Badische Landesverband einer unmittelbaren Einmischung von Partei und NSV zwar nicht ausgesetzt; doch erfaßte auch ihn die totalitäre Durchdringung aller gesellschaftlichen Kräfte, wie die Heranziehung der Vereine zu Gutachten in "volkspflegerischer" Hinsicht exemplarisch zeigt. In der eigentlichen Straffälligenhilfe gewährte er mit beschränkten Mitteln weiterhin Einzelfallhilfe und wirkte bei der Finanzierung staatlicher Aufgaben wie der Einrichtung von besonderen Vollzugsmöglichkeiten für Jugendliche beim Jugendarrest mit. Eine letzte Satzungs- und Namensänderung wurde dem Verband 1940 verordnet. Zu der erzwungenen Auflösung von 30 Bezirksvereinen kam es angesichts des herannahenden Kriegsendes nicht mehr.

In der Bundesrepublik Deutschland gewann das Verhältnis zwischen staatlichen Maßnahmen und gesellschaftlichem Wirken auf dem Gebiet der Entlassungsvorbereitung und -hilfe unter dem Vorzeichen des Sozialstaatsprinzips eine neue Dimension, nachdem das Bundesverfassungsgericht den (Re-) Sozialisierungsgedanken aus dem Grundgesetz abgeleitet und die staatliche Verpflichtung bekräftigt hatte, die äußeren Voraussetzungen für die soziale Eingliederung Straffälliger zu schaffen. Darüber hinaus entfalten Artikel 1 Grundgesetz, die Grundrechte, das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip resozialisierende und humanisierende Einflüsse auf die Bereiche der sozialen Strafrechtspflege. Im materiellen Strafrecht bewirkten zahlreiche Gesetze eine Entkriminalisierung und beschränkten das Strafen auf die Fälle von Rechtsgüterverletzungen. Im übrigen knüpfte der Gesetzgeber an die Reformbewegung der Weimarer Zeit an und stellte den Resozialisierungszweck vor allem im Bereich der Strafen und Maßregeln gleichberechtigt neben das Prinzip der gerechten Tatvergeltung und neben die Schutzfunktion des Strafrechts. Durch den Täter-Opfer-Ausgleich wurden -längst überfällig- Opfer- und Straffälligenhilfe zusammengeführt. Während der Gesetzgeber im Strafverfahrensrecht die Stellung des Beschuldigten den rechtsstaatlichen Erfordernissen des Grundgesetzes entsprechend verbesserte, die Gerichtshilfe auf eine gesetzliche Grundlage stellte und das Legalitäts- und Opportunitätsprinzip in ein ausgewogenes Verhältnis brachte, regelte er im Strafvollzugsgesetz von 1977 den Strafvollzug auf einer verfassungsrechtlich einwandfreien Grundlage entsprechend dem Verfassungsprinzip des sozialen Rechtsstaates. Dabei stellte er in § 2 Satz 1 StVollzG die Rückfallverhütung in den Mittelpunkt. Für betäubungsmittelabhängige Täter wurde nach und nach ein breites Spektrum materieller und verfahrensrechtlicher Möglichkeiten für eine dauerhafte Rehabilitation geschaffen.

Unter Beibehaltung und Verfestigung des Dualismus von Jugendwohlfahrts- und Jugendkriminalrecht brachte das Jugendgerichtsgesetz von 1953 die Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht, das sich seitdem um einen Kompromiß zwischen Erziehung und Strafe bemüht. Die kontinuierliche Fortentwicklung des Erziehungsgedankens und des Grundsatzes der Subsidiarität manifestierte sich in den durch Maßnahmen der Diversion geschaffenen Möglichkeiten, bei ersten strafbaren Auffälligkeiten ohne Strafurteil, gleichwohl normverdeutlichend zu reagieren. Im Verfahren hierzu bringt die Jugendgerichtshilfe die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte zur Geltung. Wie im Erwachsenenstrafrecht hilft der Täter-Opfer-Ausgleich, Täter- und Opferinteressen zu verknüpfen.

Weil in den vergangenen Jahren auch in Baden-Württemberg haushaltsmäßige, personelle und organisatorische Hemmnisse der Verwirklichung eines idealen Arrestvollzuges entgegenstanden, bemühen sich die zum Badischen Landesverband gehörenden Jugendhilfswerke, den Vollzug in den örtlichen Arrestanstalten erzieherisch und resozialisierend zu gestalten. Staatlicherseits besser bestellt ist es dagegen um den Jugendstrafvollzug in Baden-Württemberg.

Die bei der Einführung der sozialen Dienste geleistete Aufbauarbeit des Badischen Landesverbandes trug gute Früchte. Gerichtshilfe, Bewährungshilfe und die Sozialarbeit im Vollzug sind als tragende Elemente staatlicher Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg fest etabliert. In materieller Hinsicht unterstützt die Stiftung "Resozialisierungsfonds Dr. Traugott-Bender" die Bemühungen um Wiedereingliederung. Schließlich dienen der Stabilisierung und Wiedereingliederung der Straffälligen die im Bundessozialhilfegesetz und im Arbeitsförderungsgesetz normierten Hilfestellungen.

In der freien Straffälligenhilfe war der Badische Landesverband bis zu Beginn der fünfziger Jahre mit seiner Reorganisation und der Wahrung seiner Selbständigkeit in Anspruch genommen. Für aufwendige Projekte fehlten ihm und den Bezirksvereinen, die die traditionellen Einzelfallhilfen auf niedrigem Niveau leisteten, anfangs die Mittel. Erst nach und nach konnten für die damalige Zeit nennenswerte Beträge aufgewandt werden, um in den Strafanstalten Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie im Freizeit- und Informationsbereich mitzufinanzieren.

1954 griff der Landesverband die lang ersehnte Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung auf, sammelte Erfahrungen und erprobte in Zusammenarbeit mit den Bewährungshelfern erste Hilfen. Dieser Tätigkeitsschwerpunkt führte 1960 zu einer Satzungs- und Namensänderung. Seit 1968 wurde das Modellprojekt eines Strafvollstreckungsgerichts fünf Jahre lang ideell und materiell gefördert. 1965 initiierte und finanzierte der Badische Landesverband die Gerichtshilfe, bis das Land Baden-Württemberg 1971 zehn Gerichtshelferstellen etatisierte.der 1967 eingerichtete Sonderfonds setzte den Landesverband und die Bezirksvereine in die Lage, ambulante, teilstationäre und stationäre Einrichtungen im gesamten Verbandsgebiet einzurichten. Hierdurch trat der Landesverband nach 1883 zum zweiten Mal aus dem Bereich gezielter Einzelfallhilfen heraus. Dieser Entwicklung trug die Satzungsänderung von 1987 Rechnung, nachdem bereits die Satzung von 1975 die in der Justiz etablierte Sozialarbeit berücksichtigte. Neben der Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs für Erwachsene als Modellprojekt von 1991 bis 1995 unterstützte der Badische Landesverband bis Ende 1995 die neugegründeten Einrichtungen des Sächsischen Landesverbandes und wandte sich im Zuge der Grenzöffnungen nach dem Abkommen von Schengen der modellhaften Europäischen Anlaufstelle für Straffällige in Straßburg zu. Die Finanzierung dieser zum Teil aufwendigen Einrichtungen und Projekte erfolgt in erster Linie über die von den Gerichten und Staatsanwaltschaften zugewiesenen Geldbußen, über die Pauschalzahlungen des Landeswohlfahrtsverbandes Baden und über einen inzwischen wieder deutlich reduzierten Zuschuß des Justizministeriums.

Die praktische Arbeit vor Ort leisten die 24 Bezirks- und Mitgliedsvereine beziehungsweise der Vereinszusammenschluß Ortenau. Sie betreiben die ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen und gewähren die noch immer bedeutsamen Einzelfallhilfen. Ihr jeweiliges Angebot ist in Art und Umfang durch die Verhältnisse vor Ort geprägt und deshalb überaus individuell. Lediglich die Zielrichtung ist für den Landesverband und die Bezirksvereine einheitlich in § 1 der Satzung von 1987 vorgegeben.

Zusammenfassend läßt sich auch für die Geschichte der sozialen Strafrechtspflege in Baden feststellen, daß sie die verschiedenen Epochen des Verhältnisses von Staat und Bürger, Staat und Strafrechtspflege, Gesellschaft und Rechtsbrecher widerspiegelt. Ihre Inhalte und Konzepte standen überwiegend im Einklang mit den jeweils herrschenden Vorstellungen über Staats- und Strafzwecke, über Strafe, Strafvollzug und Gesellschaftsschutz.

Für die staatlicherseits geleistete Fürsorge mag eine staats- und justizkonforme Haltung nichts Besonderes sein. Daß aber auch die freie Straffälligenhilfe in Gestalt des Badischen Landesverbandes stets im Einklang mit den in Staat und Justiz herrschenden Vorstellungen stand, erklärt sich aus der zu allen Zeiten gepflegten personellen und inhaltlichen Justiznähe.der Badische Landesverband und die ihm angeschlossenen Vereine haben die staatlichen Vorgaben -wenn auch nicht immer freiwillig- anerkannt und sich in der gesellschaftlichen Aufgabe der Wiedereingliederung Straffälliger, dem Zeitgeist entsprechend, mal mehr oder weniger stark engagiert. So wirkte man nach 1832 bis in die Angelegenheiten des Strafvollzugs hinein oder zog sich nach 1933 selbst im Bereich der privaten Fürsorge fast gänzlich zurück. Heute stellen sich Verband und Vereine als verläßliche Partner der staatlichen sozialen Strafrechtspflege dar und unterstützen und ergänzen deren Angebote mit ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen.

Das Verständnis von Straffälligenhilfe hat sich in Vergangenheit und Gegenwart mehrfach geändert. Es reicht vom engen Aufgabenkreis reiner Entlassenenhilfe bis hin zur durchgehenden Fürsorge im Sinne einer "Sozialen Rechtspflege". Dabei kümmerte sich früher wie heute die freie Straffälligenhilfe zumeist um die Bereiche, die staatlicherseits als nicht opportun oder in Ermangelung ausreichender Mittel vernachlässigt wurden. Dies trifft auch auf die jüngste Vergangenheit zu. Infolge notleidender Staatshaushalte fällt es seit Anfang der neunziger Jahre auch in Baden-Württemberg immer schwerer, von seiten des Staates den Straffälligen selbst die Fürsorge angedeihen zu lassen, die ein Gebot des Gesetzes- und Verfassungsrechts ist. Dies wäre unschädlich, wenn es den freien Trägern gelingen würde, einen Ausgleich zu schaffen.dem ist jedoch so nicht mehr. Stagnierende Einnahmen und steigende Personalkosten zwingen den bis zum Anfang der neunziger Jahre finanziell und personell recht gut ausgestatteten Badischen Landesverband mehr und mehr, sein noch immer flächendeckendes Hilfsangebot zurückzunehmen. Appelle an die Landesregierung, die zugewiesenen Haushaltsmittel nicht weiter zu kürzen, verhallen ungehört. Die großzügige Finanzierung von Modellprojekten gehört seit einigen Jahren der Vergangenheit an. Allein schon diese materiellen Erschwernisse geben -unabhängig von der grundsätzlichen Notwendigkeit- Anlaß, konzeptionell und inhaltlich über eine moderne künftige Straffälligenhilfe nachzudenken. Einen ersten Anstoß hierzu gab ein Vortrag Hans-Jürgen Kerners auf der Bad Boller Tagung 1994. Begreift man eine moderne Straffälligenhilfe konzeptionell als "die Gesamtheit der von freien Trägern eingesetzten Hilfen und Maßnahmen vom Zeitpunkt der Ergreifung eines Verdächtigen bis zum Zeitpunkt der Erledigung der Sanktion, mit dem Ziel, das Strafrecht als resozialisierungsorientiertes Recht ausgestalten zu helfen", institutionell als "die Verwirklichung einer sozialen Strafrechtspflege" und verfahrensbezogen als "die Begleitung der betroffenen Personen in allen Stufen der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs, vom Ermittlungs- bis zum Nach- und Gnadenverfahren", ergeben sich außerhalb der Bagatellkriminalität und außerhalb der rational geplanten Schwerkriminalität drei Ziele für die Verwirklichung einer sozialen Strafrechtspflege:

  • Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch (sozialen) Ausgleich zwischen Täter und Opfer oder/und durch Schadenswiedergutmachung.
  • Die Minimierung der sozialen Ausgrenzung des Täters.
  • Die Maximierung der sozialen Wiedereingliederung des Täters.

Bereits das geltende Straf- und Jugendstrafrecht bietet genügende, auch kombinierbare Möglichkeiten, diesen Zielvorgaben entsprechend individuell zu reagieren. Eine sozial verstandene Strafrechtspflege müßte sich ihrer nur konsequenter bedienen, um zu einer sozialintegrativen Rechtsanwendung im Bereich des Kriminalrechts zu gelangen. Zusätzlich wäre das Feld der sogenannten komplementären Hilfen zu berücksichtigen. Dabei zwingen Zeiten knapper Kassen zu einer von allen Beteiligten akzeptierten Aufgabenverteilung. Zunächst sollte der Staat die ihm von Gesetzes wegen obliegenden Aufgaben erfüllen. Täte er dies konsequenter als bisher, wäre damit angesichts einer de lege lata schon umfassenden Aufgabenzuweisung ein weites Feld der sozialen Rechtspflege abdeckt. Dies würde den freien Trägern den Rücken für diejenigen Aufgaben freihalten, deren Erfüllung zwar allseits begrüßt wird, die aber trotz sozialstaatlicher Verpflichtung nicht unbedingt eine Angelegenheit des Staates sind. Hierzu gehören vor allem die Einrichtung und die Unterhaltung von ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen.der Badische Landesverband für soziale Rechtspflege hat darauf wiederholt hingewiesen. Käme es insoweit zwischen Staat und freien Trägern zu einem praktizierten Konsens, könnten die Träger der Straffälligenhilfe und ihre Klientel mit größerer Zuversicht in die Zukunft blicken.

Share by: